Ankunft in Kathmandu

Diese Stadt hat mich wie ein Strudel eingesogen! Ein unendliches Spektrum an Farben, Tönen und Gerüchen - aufgetragen durch Menschen , Tiere und jedes nur denkbare Gefährt, welches die eben genannten Eindrücke wiederum mit einschliesst. Überhaupt ist es mir in dieser Stadt nie gelungen zu trennen. Das, was den momentanen Eindruck ausmacht, ist immer eine Komposition von Sinneswahrnehmungen und Begegnungen.

 

Nach einer verrückten Fahrt durch die Strassen und Gässlein zum Hotel treffe ich auf die anderen Freiwilligen. Das ist ein weiterer Reiz: Neben Nepal noch andere Kulturen zu entdecken, denn jeder stellt durch seine Person sein Land dar, wenn er damit auch nicht der Vielfalt an Menschen im eigenen Land entsprechen kann.

 

Am ersten Abend sind wir überrascht vom extrem vielfältigen Restaurantangebot, entscheiden uns dann jedoch für ein, in einer Seitengasse verstecktes, kleines Restaurant und essen das typische Daal bhaat tarkaari. Zusammengesetzt ist es aus Reis, der Linsensuppe und Gemüsecurry - noch sahen wir bei der Vorstellung, dass es in den nächsten vierzehn Tagen unser tägliches Essen darstellten sollte, kein Problem, denn es schmeckte wunderbar (wenn auch ungewohnt scharf). Nach einem weiteren Tag im Organisationsbüro, an dem wir auch den Monkey-Tempel (Swayambhunat) etwas abseits auf einem Hügel erklommen hatten (und mit den ersten Affen Bekanntschaft beschlossen hatten) , waren auch alle weiteren Camp-Teilnehmer eingetroffen.

 

Die Fahrt in den Süden Nepals war unglaublich beeindruckend: Jene Berge, die das Kathmandutal einschliessen sind von Wäldern bedeckt und einfach wunderschön! Unser Workcamp fand in Chainpur statt, dass ist ein kleines Dörfchen im Chitwan-Distrikt. Für sehr viele Menschen ist es neu zu hören, dass es in Nepal ein ausserordentlich artenreiches Tiefland gibt, da die Vorstellung von Achttausendern andere Besonderheiten in den Hintergrund rücken lässt. Das Klima im sogenannten Terai ähnelt dem Indiens und ist besonders während der Monsunzeit durch sehr hohe Temperaturen geprägt.

 

In Chainpur lebten wir zu zweit bei Gastfamilien und ich glaube, es war auch genau diese Erfahrung, welche unsere Zeit dort so intensiv machte. Zunächst erschienen uns die Ventilatoren in den Häusern als kleiner Luxus, bald darauf jedoch war klar, dass es ohnedem einfach nicht möglich war. Mit Tanja erlebte ich die Aufnahme in unserer Familie als so herzlich, dass es einfach Momente des Glücks waren. Schon morgens lachten wir über unser chiura - das sind geröstete Reisflocken - weil wir dieses Wort einfach nicht so aussprechen konnten , wie es Dhruba, unser Gastbruder versuchte uns beizubringen. Er ist etwa 24 Jahre alt und studiert in einer Stadt der näheren Umgebung Englisch, Geschichte und Geographie. Sehr oft hatten wir das Gefühl, dass unsere Familie anderen gegenüber deutlich besser eingestellt war, aber nie diese Position ausnutzend.

 

Im Dorf gibt es für sehr arme Menschen die Möglichkeit, bei solchen Familien wie auch der unseren, etwas zu arbeiten und dafür Essen zu bekommen. Natürlich ist damit nur in kleinem Maße geholfen, aber es ist immerhin eine Chance zum Überleben. Grundlegend werden die meisten benötigten Lebensmittel selbst angebaut: Reis, Kartoffeln, Mais, Zucchini und einige weitere Gemüse. Das bereits erwähnte Daal Bhat ist man dort sein ganzes Leben, zweimal pro Tag. Das hört sich unglaublich an, erscheint es mir mittlerweile aber gar nicht mehr so sehr. Ab und zu haben mir halt Dinge aus meinen alltäglichen Essgewohnheiten zu Hause gefehlt, aber dieser Reis war bis zum letzten Tag einfach köstlich. Typisch ist auch Reispudding, er ähnelt dem unseren Milchreis, wird jedoch mit Datteln, frischen Kokosnüssen und Ziegenmilch zubereitet. Das Gemüsecurry wird jedoch beibehalten und schmeckt gemeinsam mit dem süßen Reis seltsam, aber richtig gut.

 

Die Temperaturen am Tag sind so hoch, dass es einfach unmöglich ist zu arbeiten. Festgelegt wurden daher Arbeitszeiten von jeweils etwa zweieinhalb Stunden morgens und abends. Nach unserem erwähnten chiura zogen Tanja und ich morgens aus dem Haus zum Treffpunkt, einer Art Büro der Organisatoren vor Ort. Dort wurde meist kurz geplaudert, aber nicht unbedingt auf Englisch, vielmehr wurden die ersten Nepali-Kenntnisse hervorgebracht, unsere zwei Japanerinnen unterhielten sich angeregt und Tanja unterhielt sich auf Italienisch mit Maja, sie waren zusammen nach Nepal gekommen. Für die Nepali schien dies ziemlich verwirrend, aber sie gaben sich große Mühe, sich auf Englisch mit uns zu verständigen. Das Ziel unseres Workcamps war es vor allem, das Dorf Chainpur durch einen angelegten Pfad am direkt anliegenden Berg zu bereichern. Da sehr viele Ziegen gehalten werden, besteht ein Teil der Arbeit der Frauen darin, gewisse Pflanzen von diesem Berg als Nahrung zu holen. Durch die andauernden Regenfälle ist die Erde jedoch so glatt, dass es uns bei der Erstbegehung ein Problem war, nicht wegzurutschen. Dies stellte nachhin ja nicht nur eine Erschwerung, sondern auch eine Gefahr da, denn diese Arbeit wird auch von den Kindern bewältigt. Somit versuchten wir, einen bereits vorhandenen, alten Weg komplett zu erneuern und stellten dabei fest, was es überhaupt bedeutet, unter solchen klimatischen Umständen und bei einer solchen Bodenbeschaffenheit zu arbeiten! Es ist zu bewundern, wie die Dorfbewohner ihr Leben dort meistern. Nach den ersten "Arbeitstagen" kamen auch erstaunlich viele weitere freiwillige Helfer aus dem Dorf, ganz selbstverständlich auch Frauen, welche harte Arbeit immer noch mit Lachen und richtigem Gekicher begleiteten. Junge Mädchen besitzen bereits den ausgeprägten Gesichtsausdruck einer erwachsenen Frau und sie sind wunderschön, jedoch altern sie dementsprechend schnell und es ist erschreckend, wie greisenhaft eine Frau im Alter von vierzig Jahren erscheinen kann. Wie viele kleine Kinder mit schwer beladenen Körben auf dem Rücken gehören zum Alltagsbild, aber wir konnten uns nicht daran gewöhnen, waren wir vielmals gar nicht in der Lage, auf der rato mato -der roten Erde-, den Hang hinunterzulaufen. Und dann wieder die vielen schönen Spiele mit den Kindern, bei der die uns fremde Sprache in keinster Weise ein Hindernis darstellte.

 

An einem Morgen fing es plötzlich an zu regnen, und wir flüchteten durch den Monsunregen zu einem der Lehmhäuser in der Nähe. Unter dem undichten Strohdach schauten wir auf das Dorf, zum anderen auf die endlosen Reisfelder und auch zu unserem Hügel: In solchen Momenten wird es so deutlich, dass, so klein der Schritt auch ist, er gemacht werden muss. Es wird Tee gereicht und er macht glücklich, denn er wärmt weil er nicht einfach nur aus Verpflichtung zubereitet wurde. Kurze Zeit darauf bricht die Sonne durch. Diese kleine Sequenz hat mich wieder deutlich motiviert.

 

Am Abend sitzen wir in gemütlicher Runde, es gibt jedoch eine beunruhigende Nachricht: Im Nachbardorf wurde ein Mann von einem Maoisten getötet. Wir werden zur Vorsicht ermahnt, sollen nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr unsere Gastfamilie verlassen. Dunkelheit birgt jedoch auch andere Gefahren. Es gibt sehr viele Schlangen, darunter auch Kobras und Vipern, meint Dhruba. Für ihn ist es ein kleiner Spaß, uns etwas damit zu ärgern, reagieren wir doch schon schreckhaft auf die vielen kleine Echsen an den Zimmerwänden und den etwas größeren Spinnen. Doch Spaß ist es für ihn nicht, dass ein Teil der Königsfamilie ermordet wurde. In einem scheinen sich die Nepali, mit denen ich gesprochen habe, jedoch sicher: Der Königssohn war nicht derjenige, der das Unglück verursacht hat. Oft wird das Gesprächsthema daraufhin beendet, das ungute Gefühl jedoch bleibt. Das eigene Haus wird so gut wie möglich verriegelt, nachts das Haus zu verlassen wäre uns allein wohl kaum gelungen. Trotz all dem kann ich nicht behaupten, dort zu einem konkreten Zeitpunkt richtige Angst gehabt zu haben.

 

Ein Kapitel für sich waren die uns gegebenen Möglichkeiten sich zu waschen. Im Dorf gibt es mehrere zentrale Wasserhähne, jeweils ein paar Häusern zugehörig. Traditionell waschen sich Männer mit freiem Oberkörper, behalten jedoch ihre Hose an. Für Frauen gibt es Umhänge, die unterhalb der Ansätze der Arme beginnend mittels einer Schnur gehalten werden. Für die Dorfbewohner schien es ein noch nie da gewesenes Ereignis uns zuzuschauen, wie wir ungeschickt versuchten, unter dem niedrigen asserhahn etwas Wasser zu erhaschen, dabei bemüht, den Umhang nicht fallen zu lassen. Vor lauter lachen, manchmal aber auch beschämend ob der vielen Männer, war es mit dem ausgiebigen reinigen ein Problem, jedoch nie ein wirkliches Reinheitsproblem. Sehr plötzlich wurde uns der Vorschlag gemacht, zum Chitwan Nationalpark zu fahren und dort zwei Tage zu verbringen. Wir waren begeistert und stimmten zu. Der Ort Sauraha ist sehr bekannt für Safaris, für uns wurden mehrere Elefanten bereitgestellt. Am ersten Abend schauten wir uns eine Elefantenfarm an, welche jedoch lediglich in der Nacht freilebende Elefanten beherbergt. Es war eindrucksvoll, mit welch pompösen Lauten diese Tiere sich bemerkbar machen und unter den Bäumen hervorkommen. Selbst die Pfleger haben grossen Respekt und treten zurück. Auf dem Elefantenrücken am nächsten Tag war es eher unbequem, dafür jedoch beeindruckend, Nashörner in ihrem wirklichen Lebensraum zu sehen.

 

Während der letzen Tage in Chainpur waren wir dabei, den Picknickspot herzurichten, um damit Chainpur auch für andere Menschen interessant zu machen, welche eventuell den Hügel (für uns war es nach wie vor ein Berg) beraufwandern oder besser erklimmen wollten. In einer Nacht fing es an zu regnen und hörte bis zu unserer Abfahrt nicht mehr auf. Damit verlegten wir unser Abschiedsessen in das Büro und hatten einen wunderschönen letzten Abend, welcher auch von Traurigkeit begleitet wurde. Ich mochte all die Nepali sehr, welche mit uns das Projekt umgesetzt hatten, vor allem Sham, der das Camp leitete und uns alle motivierte oder verrückte Kartentricks beibrachte. (Der Nepali spielt auffallend gern mit Karten oder auch mit Steinen. Kein erwachsener Mann fühlte sich dabei zu kindlich, was unglaublich angenehm ist.) Der Abschied von unserer Gastfamilie war besonders schwer, der ganz andere Lebensstil war doch - unbemerkt - unser Alltag geworden.

 

Die Rückfahrt nach Kathmandu war nicht ungefährlich, da es durch die andauernden Regenfälle viele Erdrutsche gab und damit viele Straßen blockiert waren. Wir brauchten ein vielfaches der Zeit, um zurückzukehren. Gleichsam war uns damit die Chance gegeben, über die vorangegangenen zwei Wochen miteinander zu diskutieren und sich die unterschiedlichen Erfahrungen mit den Gastfamilien anzuhören. Kathmandu selbst habe ich nun mit anderen Augen betrachte. Die Armut, der Müll und das kaum vorhandene Abwassersystem; all das kann in den ländlichen Regionen etwas besser reguliert werden, obgleich ich damit über die immensen Probleme auf dem Land keinesfalls hinweggehen möchte. Die Hauptstadt spiegelt jedoch nicht Nepal wieder und jeder Nepalreisende sollte neben dem Trekking auch südlich des Kathmandutals Zeit verbringen.

 

Nepal ist ein so wunderbar vielfältiges Land und fast ein Drehpunkt für den südostasiatischen Raum. Die Weiterreise nach China und Tibet, als auch nach Indien und Bangladesh oder auch Bhutan ist von Kathmandu aus möglich. Damit ergeben sich so vielfältige Möglichkeiten, dass ich sehr traurig war, nach weiteren zwei Wochen in Nepal ins Flugzeug steigen zu müssen. Ich bin mir sicher, dass ich Nepal - dann mit mehr Zeit - erneut bereisen werde!

Copyright 2012 Nothelfergemeinschaft der Freunde e.V.
 

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Stand 2012