Projekte im Nahen Osten

Dabburiyya 2010

In diesem Bericht möchte ich über meinen halbjährigen Aufenthalt in Israel, meine Arbeit im Altenheim und das Leben im arabischen Dorf erzählen. Im Januar diesen Jahres bin ich mit Hilfe der Nothelfergemeinschaft als Volontär nach Dabburiyya gereist, um dort für sechs Monate in einem arabischen Altenheim zu arbeiten. Dabburiyya ist ein zu 100% arabisches Dorf am Berg Tabor in Untergalilaea.

 

Das Altenheim ist in vier Stationen unterteilt. Mein Arbeitsplatz war Station A, gleich gegenüber von meinen Räumlichkeiten. In dieser Station sind die Leute vollständig auf Hilfe angewiesen und können fast nichts mehr selbstständig machen. Meine Arbeit im Altenheim begann jeden Morgen um 7:00 und ging bis 14:00 Uhr, fünfmal die Woche, wobei mein Chef sehr großzügig war, wenn es auch einmal weniger Arbeitstage waren. Meine Tätigkeiten beschränkten sich auf das Füttern der alten Leute, sie ins Bett zu bringen und einfache Arbeiten zwischendrin wie Betten desinfizieren, Wäsche zu sortieren und Essen vorbereiten. Während den Tätigkeiten gab es viel Zeit zum Frühstücken, Kaffee trinken oder einfach nur Zeit um sich mit den Alten zu unterhalten bzw. von ihnen unterhalten zu werden. So locker wie es sich anhört war die Arbeit aber doch nicht. Vor allem für mich, als einer auf diesem Arbeitsgebiet Unerfahrenen, erforderte die Arbeit mit den alten Leuten viel Kraft und Anstrengung. Zu Essensausgabezeiten ging es immer drunter und drüber. Von allen Seiten wurde geschrien und die Bewohner des Altenheims teilten ihre Bedürfnisse lautstark mit. Ich bin zu der Erkenntnis gekommen, dass alte Menschen wie Kinder sind, nur mit dem Unterschied, dass man ihnen nichts mehr beibringen kann. Genau aus diesem Grund war die Arbeit oft sehr kraftraubend. Es gab aber auch viele schöne Erlebnisse bei der Arbeit. Ich hatte meine Lieblinge, denen ich gerne Gesellschaft geleistet habe und mit denen ich viele lustige Momente hatte.  Außerdem bin ich davon überzeugt, dass wenn es ein deutsches Altenheim gewesen wäre hätte ich nicht so viel Spaß gehabt, da mir schon allein das Erlernen der arabischen Sprache viel Freude gemacht hat und die Unterhaltungen mit den Alten zu etwas Besonderem gemacht haben.

 

Nach der Arbeit habe ich mich meistens vor dem PC ausgeruht oder einen Mittagsschlaf gemacht. Ich habe von Anfang an Freunde gefunden, die mich sehr herzlich aufgenommen haben. Viele meiner Arbeitskolleginnen haben mich zu ihren Familien nach Hause eingeladen. Einige habe ich regelmäßig besucht, bei anderen blieb es eine einmalige Sache. Jede Familie hat mich herzlich aufgenommen und mich zum Sohn erklärt. Für mich jedoch gab es nur zwei Familien, die mir wirklich ans Herz gewachsen sind, eine davon aus dem Nachbardorf Shibli, den Beduinen, die durch ihren Dienst in der israelischen Armee bei den Dabburiyyanern unbeliebt sind. Mich störte das wenig und ich genoss es jedes Mal, wenn ich in Shibli war. Die Familie aus Shibli, die auch mit Nachnamen Shibli heißt, wie alle Familien aus diesem Dorf, unterschied sich noch in einem für mich wichtigen Punkt gewaltig von den Leuten in Dabburiyya. Wenn ich bei Familie Shibli war ging es NICHT nur ums Essen, Kaffee trinken und Argila rauchen. Im Gegensatz zu Dabburiyyanern haben sie mich viele Male auf Ausflüge  in Galilaea mitgenommen, sei es mit dem Pickup durchs Wadi, mit dem Quad über die Hügel, Fenchel pflücken auf dem Arbel oder abends Eis essen in Tiberias. Mit den Kindern, alle zwischen 7 und 17 Jahren habe ich es stets genossen. Die Feststellung, dass sich die berühmte arabische Gastfreundschaft der Araber sich größtenteils nur auf das leibliche Wohl begrenzt, hat mir anfangs schwer zu schaffen gemacht. Nicht weil ich nicht gerne esse oder Tee trinke, im Gegenteil es hat immer großartig geschmeckt. Doch was mir fehlte, war die Bereitschaft meiner arabischen Freunde mir das Land zu zeigen, Städte und kulturelle Orte zu besichtigen. Es schien mir als ob auf diese Sache keinen Wert gelegt wird. In diesem Punkt unterscheiden sich muslimische Araber auch deutlich von christlichen Arabern, da letztere mehr Interesse für Ausflüge zeigen. Ich habe zwar viele Vorschläge bekommen etwas zu unternehmen, aber es ist meistens nichts daraus geworden. Am Anfang hab ich das nicht verstanden, doch später wunderte ich mich nicht mehr, wenn mein Kollege nicht angerufen hat, obwohl er tagszuvor meinte er würde mich anrufen. Oder wenn ein anderer Kollege mir Beersheva zeigen möchte und dann aber am geplantem Tag wie gewöhnlich zur Arbeit erscheint. Auf die Frage warum denn nichts daraus geworden ist, sagt er nur er müsse arbeiten und ich sollte ihn doch dafür zu Hause besuchen, damit er mich seiner Familie vorstellen kann. Solche oder ähnliche Vorfälle gab es sehr häufig, wobei ich mir sicher bin, dass sich in diesem Punkt meine Erfahrungen mit den Erfahrungen der Mädchen, die normalerweise nach Dabburiyya kommen um zu volontieren, nicht decken. Als ich einmal Besuch hatte von zwei Volontärinnen aus Tel Aviv, konnte ich sehen wie die Jungs aus dem Dorf sich förmlich auf sie geschmissen haben und ihnen am liebsten gleich alles auf einmal zeigen wollten. Allerdings kann ich dieses Verhalten der Jungs gut verstehen, da sie sich nicht mit den arabischen Mädchen aus ihrem Dorf treffen können. Der Einfluss des Islams ist groß und dieser verbietet es den Mädchen weitgehend Kontakt mit den Jungs zu halten. Allerdings hält man sich nur im öffentlichen Leben daran. Was außerhalb vom Dorf oder in Internet Messengern abläuft kann man sich denken. Trotz all dieser Erfahrungen bin ich froh als Junge in Dabburiyya gewesen zu sein, da der Islam eine von den Männern dominierte Gesellschaft ist. Für eine Frau gilt es als unhöflich ins Caffe zu gehen, in der Öffentlichkeit zu rauchen oder über Politik zu diskutieren. Mädchen sollen im Haus bleiben und die Arbeiten dort erledigen. Die einzigen Orte wo sich Jungs und Mädchen begegnen sind Schule und Hochzeiten. Und Hochzeiten gibt es viele. Im Frühjahr und Sommer hört man die Hochzeitsgesänge ständig. Die Araber lieben Hochzeiten und reden gerne über das Verheiraten ihrer Söhne und Töchter.

Die Araber sind ein simples Volk, die gerne die Familie um sich herum haben, den ältesten Sohn nicht gerne im Ausland weit weg von der Familie studieren lassen und von Herzen gerne Gäste bei sich aufnehmen, und diese rundum versorgen. Die arabische Küche ist vorzüglich und eines der Dinge, die ich in Deutschland schwer vermissen werde.

 

Trotz der Schwierigkeit Leute dazu zu bringen sich mit mir all die wunderschönen Orte im heiligen Land anzuschauen, habe ich vieles gesehen. Meistens bin ich allein losgereist, manchmal mit anderen Volos, die ich auf Seminaren kennengelernt habe und das ein oder andere Mal war ich bei Ausflügen des Altenheims dabei. Wenn ich alleine losreiste wurde ich immer von allen gefragt wo ich hingehe, mit wem, warum, wie lange………, so dass es mir manchmal fast zu viel wurde und ich mich mit einem einfachen aber höflichen "ich gehe ein bisschen raus" rechtfertigte.

 

Im Dorf wird nicht gerne über Politik geredet da es immer etwas schmutziges ist. Außerdem treiben sich manchmal Spitzel im Dorf herum die mit der Regierung zusammen arbeiten. Diese behandelt die Araber nicht gleich wie die Juden. Oftmals sehen sich die Araber als Bürger zweiter Klasse. Aus vielen Statistiken geht das auch eindeutig hervor. Auch wenn man sich die Dörfer der Araber und die Siedlungen der Juden anschaut sieht man sofort Unterschiede. In den jüdischen Siedlungen sorgt die Polizei für Recht und Ordnung und die Müllabfuhr für die Beseitigung von Müll etc. In den arabischen Dörfern gibt es weder Polizeipräsenz noch einen Gemeindedienst der für die Sauberkeit des Ortsbildes zuständig ist. Die Straßen sind zugemüllt, der Verkehr chaotisch und es herrschen viele Familienkonflikte, die untereinander ausgetragen werden. Außerdem gibt es viele Konflikte zwischen den Arabern aus Dabburiyya und den Beduinen aus Shibli, da diese Militärdienst leisten und somit in Kriegsgebieten wie Gaza oder in der Westbank gegen ihr eigenes palästinensisches Volk kämpfen.

Die Araber sind der Meinung, dass die Polizei deswegen nicht einschreitet, weil sie gerne zusieht, wenn sich Araber untereinander streiten. Das Zusammenleben der Juden und Araber ist auf den ersten Blick ein friedliches, aber wenn man genauer hinsieht bemerkt man immer öfter wie beide Seiten schlecht über die andere Bevölkerungsgruppe spricht sobald sie die Möglichkeit dazu hat. Man hört ständig unschöne Worte über eine andere Familie, ein anderes Dorf oder andere Ethnie, wobei ich stets bemüht war mich dabei rauszuhalten. Selbst wenn ich den Dabburiyyanern erzählte, dass ich oft und gerne nach Shibli gehe habe ich komische Blicke geerntet. Wie auch immer für mich war das kleine Beduinendorf das Größte und ich bin mir sicher, dass ich gerne mal wieder zum Besuch vorbei kommen werde. Alles in Allem habe ich in meinen 6 Monaten vieles erlebt, tolle und weniger tolle Erfahrungen gemacht, viele neue Freunde gefunden und etwas arabisch gelernt. Ich freue mich nun aber auch wieder nach Hause zu meiner Familie und meiner vertrauten Heimat gehen zu können.


Manuel

10 Wochen im arabischen Teil Israels

Nach 29 Jahren des Lehrerinnendaseins erschien es mir sinnvoll, ein Sabbatical einzulegen, um neue Kraft  für die Arbeit  zu schöpfen und ein bisschen von dem nachzuholen, was andere an Kulturerfahrungen mit 20 erleben. Lange schon war es mein Traum, noch einmal nach Israel zu reisen. Warum also nicht das Sabbatical auch dafür nutzen? Ein Blick ins Internet verriet mir, dass die Organisation „Nothelfergemeinschaft der Freunde e. V.“ auch Freiwillige „jenseits der Lebensmitte“ vermittelt. Ich bewarb mich und Bernhard Klinghammer, mein Betreuer , legte mir die Arbeit im ersten arabischen Altenheim Israels in Dabburiya ans Herz. Arabisches Dorf statt jüdisches Stadtleben? Warum nicht. Gute Englischkenntnisse sind erforderlich! Okay. So verbrachte ich das erste Vierteljahr meines Sabbaticals als Volontär in Südengland und verbesserte meine Englischkenntnisse.

 

Mitte Oktober 2009 reiste ich in das heiße Israel. Schnell konnte ich mich auf „meiner“ Station, wo  25 sehr hilfsbedürftigeMenschen zu pflegen sind, einarbeiten. Füttern, waschen, beschäftigen, Zuwendung geben, nonverbale und englische Konversation- das alles war für mich schnell zu handhaben. Die Arbeit war gut organisiert und meine KollegInnen aufgeschlossen. Sehr oft allerdings habe ich es bedauert, dass ich des Arabischen nicht mächtig bin und fühlte mich so oft ausgeschlossen.


Von der Leitung wurde mir fast jeder Wunsch erfüllt. So bekam ich ohne Probleme die Möglichkeit, 5 Tage Urlaub zu nehmen und mit dem Seniorenklub Dabburiyas nach Jordanien zu reisen. Dort hatte ich zahlreiche Erlebnisse und konnte mich andererseits  in der Gruppe auch sehr nützlich machen, was mir viel Anerkennung  einbrachte. In den folgenden Wochen wurde ich immer wieder von der Straße weg eingeladen und bewirtet.

An den zwei freien Tagen in der Woche reiste ich durchs Land. Sicherlich ist es ungewöhnlich, als fünfzigjährige Frau dies per Autostopp zu tun. Es bot mir aber die großartige Möglichkeit, mit vielen Menschen unterschiedlicher Religionen und Nationalitäten ins Gespräch  zu kommen, interkulturelle Erfahrungen zu sammeln und immer wieder verschiedene Standpunkte zum Nahostkonflikt zuhören.


In den zehn Wochen konnte ich natürlich die Lebensweise der israelischen Palästinenser hautnah erleben, schätzen lernen, aber auch sehr Fragwürdiges erleben. Die Tage um das große Fest Adha werde ich nie vergessen. Als naturbegeisterter Mensch habe ich dieses Land echt genossen: das Rote Meer, Das Tote Meer, den See Genezareth, den wunderbaren Tabor, die herrliche Vegetation nach dem Regen im November, die Olivenernte, die leuchtenden Orangen-und Mandarinenplantagen im Dezember und vor allem den fast permanenten Sonnenschein. Nach 17 Uhr war es in Dabburiya dunkel. Mein Zimmer war einfach ausgestattet, etwas laut und eher nur zum Schlafen gedacht. So war ich froh, täglich den Konferenzraum mit Internetverbindung nutzen zu können, um Kontakt zu meiner Familie und Freunden aufrecht zu halten und mich über Aktuelles informieren zu können. Es bedurfte einiger Selbstdisziplin und sportlicher Aktivitäten, um bei der sehr guten arabischen Küche nicht außer Form zu geraten. War ich in arabischen Familien zum Essen eingeladen, war das Völlegefühl vorprogrammiert. Aber auch im Altenheim gab es leckerstes Essen.


Sehr beeindruckt hat mich, wie sehr die Deutschen bei Arabern und Juden geschätzt werden. Unzählige Araber erzählten mir von ihren eigenen Deutschlanderfahrungen oder denen der Verwandten. Sie lieben deutsche Autos, verehren deutsche Fußballspieler, schätzen deutsche Pünktlichkeit und Sauberkeit. In vielen Gesprächen habe ich auch erfahren, dass die Feindschaft zwischen Juden und Arabern, die ich in den Medien wahrnehme und durch politische Entscheidungen bestätigt bekam, im Alltag durchaus nicht so gelebt wird. Zahlreiche Juden sprachen mit Hochachtung von ihren arabischen Kollegen und viele Araber erzählten mir von jüdischen Freunden. Die israelische zionistische Politik aber wird mir unverständlich bleiben. Als ich die 8 Meter hohe Mauer in Jerusalem durchlief, um nach Ramallah zu fahren, wurde ich sehr unangenehm an unsere deutsche Geschichte erinnert.


Als Lehrerin interessierte mich natürlich auch das Bildungswesen. Ich hatte die Chance, in einer Privatschule in Nazareth zu hospitieren, wo es nicht wesentlich anders als in Deutschland zuging. Die staatlichen arabischen Schulen allerdings sind hoffnungslos überfüllt mit mehr als 35 SchülerInnen pro Klasse. Eltern klagen, dass sie stundenlang bei den Hausaufgaben helfen müssen, um das Unverständliche zu erklären und Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern hätten wenig Chancen, in der Schule erfolgreich zu sein. Die arabische Kinderschar ist noch gewaltig. Als ich ein EnglischlehrerInnenseminar  besuchte, erzählten mir die Studentinnen von ihrer Familienplanung und ich hatte den Eindruck, dass die nächste Generation die 2-3 Kindehe anstrebt, um Familie und Beruf gut in Einklang zu bringen.

 

Zehn sehr interessante Wochen liegen hinter mir und ich danke der Organisation "Nothelfergemeinschaft der Freunde e. V." und besonders Bernhard Klinghammer für die Chance, diese Reise antreten zu können. Ich fühlte mich gut vorbereitet und betreut.

 

Christiane S.

Seniorenheim in Dabburriya 2009

Ich bin 23 Jahre alt, gelernte Krankenschwester und wollte vor meiner nächsten Ausbildung erst „mal raus gehen“. Der Freiwilligendienst bietet eine gute Möglichkeit, in einem anderen Land zu leben, Arbeit und Wohnung zu haben, ohne Arbeitsgenehmigung oder sonstige Schwierigkeiten umschiffen zu müssen. Das ist doch ein unschlagbares Angebot: Kost und Logis, Taschengeld und du musst nur noch den Flug buchen. Die Ortswahl war ziemlich einfach, es sollte Israel sein, wo sich ja wirklich die ganze Welt auf die Füße tritt… seien es nun Religionen (also drei ziemlich große) in Jerusalem, seien es Ethnien aus allen möglichen Ländern, da die Juden aus aller Welt ja gesetzmäßige Einwanderungsrechte haben, oder bezüglich der Beteiligung am Konflikt Israel – Palästina, wo man alle Akteure der Weltpolitik antreffen kann.


Noch mal langsam… dann werden sich bezüglich meiner Wahl auch gar keine Fragen mehr auftun…

Israel ist das Zentrum der drei Weltreligionen und beherbergt heilige Stätten, wo immer man hinsieht. Jerusalem bietet das wichtigste Heiligtum des Islams nach Mekka und Medina, das Heiligtum der Juden mit der Klagemauer, für die Christen findet sich die Kreuzigungskirche in Jerusalem und nur 20 Sherut Minuten später in Betlehem die Geburtskirche Jesus. Überall ist mal Abraham oder Jesus vorbeigestapft und das ist sogar für unreligiöse Menschen wie mich sehr beeindruckend. Ich fühle mich wie in der Wiege meiner Kultur. Dann das Vielvölkergemisch, das die Straßen Israels vollstopft und anfangs nicht einfach zu sortieren ist. Zum einen sind da natürlich Palästinenser, zu unterscheiden in Christen und Muslime, dann kommen die Juden, die sich aber nicht nur in Ashkenasi und Sephardim unterteilen, sondern auch als äthiopische Juden, russische Juden, yemenitische Juden auftreten können und so weiter. Von ihrer religiös-politischen Haltung, habe ich mir erklären lassen, gibt es ultraorthodoxe, eher nationalistisch gesinnte und reformistische Juden. Auf den Straßen kann man die Energie förmlich spüren.


Zur Auswahl hatte ich dann ein Krankenhaus in Tel Aviv, ein Hospiz in Jerusalem und ein Seniorenheim in Dabburriya, Galiläa, ein muslimisch-arabisches Dorf am Berg Tabor. Auf meiner dreiwöchigen Rundreise im August 08 sah ich mir alle drei Stellen an und entschied, nachdem ich zwei Tage in Dabburriya gestrandet war – denn am Sabbath fahren keine Busse – aus vollem Herzen für das arabische Dorfleben.


Meine Erwartungen waren in erster Linie mal ganz viel Neues lernen. Weniger in fachlicher Hinsicht, da meine Arbeit ja mehr in der eines Pflegehelfers bestand, aber in kultureller hinsicht. Ich wollte mehr vom Islam verstehen, der in den Westlichen Medien ja ordentlich platt gewalzt wird, mehr vom Israel-Palästina Konflikt und nebenbei noch ausprobieren wie es ist, wenn man nicht am Wochenende mal heimchecken kann.


Dabburriya liegt in der Jezreel Ebene, am Berg Tabor (ebenfalls ein Platz religiöser Urgeschichte), in der Mitte zwischen Nazareth und Afula, wo die wichtige Busstation liegt.

Bei Abbot, das Haus der Väter, ist ein Seniorenheim mit vier Stationen. Im ersten Stock gibt es zwei Pflegestationen, im Erdgeschoss ist Tshoshim (die Erschöpften), wo ich arbeitete, und Näfisch, eine gerontopsychatrische Station. Außerdem gibt es das Merkasiom, eine kleine Ambulanz, in der Menschen ihre Insulininjektionen kriegen können oder mal einen Arzt sehen, aber auch ein Frauenclub gastiert, Geburtstage gefeiert werden oder man Reisen organisiert.

In den drei Monaten meines Einsatzes hatte ich immer Frühdienst, von 6 bis 14 Uhr. Das Team in der Station bestand aus einer Krankenschwester oder einem Pfleger und zwei Pflegehelfern neben mir, einer Frau und einem Mann. Das ist ganz wichtig, da man in der muslimischen Kultur die Möglichkeit einräumen will, dass Frauen nur von Frauen, Männer nur von Männern gewaschen werden. Erster neuer Eindruck…


Ich machte morgens die Betten, half den Leuten beim Waschen und Ankleiden und half um viertel nach acht beim Austeilen des Frühstücks. Manchen Bewohnern musste man das Essen eingeben, manchen das Essen ins Zimmer bringen. Danach räumten wir auf, halfen den Bewohnern auf der Toilette, reinigten die Tische und halfen zum Beispiel der Beschäftigungs- oder der Physiotherapeutin, wenn sie mit den Bewohnern Programm machten. Um zwölf Uhr kam das Mittagessen. Ich konnte mich mit dem Team auf Englisch verständigen, einige männliche Bewohner sprachen auch Englisch, ansonsten setzten wir uns mit Zeichensprache und ein paar arabisch Vokabeln auseinander. Die Kommunikation klappte gut, besonders beeindruckte mich, dass man viel besser zuhörte und auch eine bessere Krankenbeobachtung machte, wenn man einander nicht auf direktem Wege verstand. Man kann auch ohne Sprache Freundschaften schließen und sich verstehen, das ist faszinierend.


Ich schlief in einem Zimmer im ersten Stock, in einem Gang zwischen den zwei Pflegestationen. Es war relativ abgelegen, wenig Durchgangsverkehr, das Bad war auf dem Gang. Ich konnte immer am Personalfrühstück und –abendessen teilnehmen und bei Bedarf in die Großküche im Keller kommen, um mich zum Mittagessen nieder zu lassen oder mich mit Obst und Gemüse einzudecken. Aber nachmittags und abends war ich meistens bei Familien im Dorf und wurde ausreichend mit Nahrung, guten Worten und politischen Themen versorgt, denn alle Palästinenser sind natürlich sehr politisch, was sie zeigen, sobald sie Vertrauen gefasst haben. Glücklicherweise wurde ich ständig eingeladen und fühlte mich gut in Team, Haus und Dorf integriert, denn die Menschen sind unendlich gastfreundlich und ich allein, Mädchen, ohne meine Familie, wurde selbst von Leuten aus dem Bus eingeladen und mit Freundlichkeiten überschüttet.


Herausforderungen? Ich fand es sehr anstrengend, viel weniger Privatsphäre zu haben, als in Deutschland. Denn bei allen ein bisschen Familie zu finden heißt auch, dass alle sich ein bisschen wie deine Familie fühlen und ganz viel von dir wissen wollen, wo du hingehst, mit wem und warum. Und es ist grässlich den Konflikt in den Köpfen zu erleben: du triffst glänzende Menschen, Israelis in Tel Aviv, christliche Palästinenser in Nazareth, muslimische Palästinenser in den Ramallah… und wenn man den einen auf den anderen anspricht, hört man oft böse Wörter. Das mitzubekommen ist für so blauäugige Deutsche wie mich sehr schwierig.

Besonders schön fand ich zwei Dinge an Dabburriya; erstens, dass ich mich wirklich wie ein Stück Familie und wie zu Hause fühlen durfte, obwohl ich ja Ausländerin und fremd war und zum anderen, dass ich immer schnell in Geheimnisse eingeweiht wurde. Leider gibt es ja in der traditionellen arabischen Kultur viele Heimlichkeiten, weil die Regeln so streng sind, aber – gerade weil ich Ausländerin und fremd war – wurden mir immer alle Geheimnisse erzählt.


Zusammenfassend muss ich sagen, dass ich eine ganz fantastische Zeit erlebt habe, dass ich traurig bin, nicht mehr in Israel zu leben, weil die Menschen in Deutschland viel weniger aufgeschlossen sind; dass ich froh bin, zurück zu sein, weil es weniger Regeln gibt, weil ich umarmen kann, wen ich will und hingehen kann, wo ich will, ohne dass es gleich Gerede gibt. Es ist unglaublich, in welcher zerissenen Welt man leben kann, zwischen allen Fronten des Nahostkonflikts und eigentlich doch daran interessiert ist, ein normales, glückliches Leben zu führen. Ich bin sehr glücklich, dass ich allein in Dabburriya war, denn nur alleine geht man wirklich raus in die Familien, muss notwendigerweise über seinen Schatten springen und jede Grenze überqueren, die im eigenen Kopf existiert. Und ich habe gelernt, dass man auch mal unangeschnallt Auto fahren kann und deshalb die Welt nicht untergeht.

Abschlussbericht zu meinem Freiwilligeneinsatz im Reuth Medical Center in Tel Aviv 02.02. – 31.05.2014

Da ich mich sowohl dem Staat Israel als auch den palästinensischen Gebieten sehr verbunden fühle, habe ich mich für einen Freiwilligeneinsatz vor Ort über die Nothelfergemeinschaft der Freunde e.V. entschieden. Normalerweise sind Freiwilligeneinsätze in Einrichtungen oder auch in Kibbuzim eher jüngeren Leuten vorbehalten. Ich hingegen, bin bereits im Vorruhestand und will meine Zeit sinnvoll nutzen. Die NdF e.V. bietet Freiwilligeneinsätze auch älteren Personen an und so war für mich klar, dass ich diese Chance nutzen werde .

Ich habe mich für die Arbeit im Reuth Medical Center in Tel Aviv über einen Zeitraum von 4 Monaten entschieden.

Nach ein wenig Vorbereitungszeit ging es am 02.02.2014 los.
Ich war sehr gespannt wie ich aufgenommen würde unter den vorwiegend jungen Leuten im Alter von 19 bis 27 Jahren. Klar war, dass ich mich arrangieren muss, mein Zimmer teilen und immer flexibel bleiben. Es freut mich im Nachhinhein sehr, dass mir das so einfach gelungen ist und ich bedanke mich bei allen Mitvolontären für ihre Offenheit und Hilfsbereitschaft.

Das Reuth Medical Center ist eine für ca. 300 Patienten ausgelegte medizinische Rehaklinik, Lang- und Kurzzeitpatienten, darunter auch Kinder. Da es eine relativ große Abteilung für Physio- sowie Ergotherapie gibt, besteht ein großer Teil der Arbeit von Volontären darin, Patienten von ihren Stationen abzuholen, dort hin und wieder zurück zur Station zu bringen.
Meine Arbeit bestand aus anderen, unterschiedlichen Aufgaben:
Am Morgen zwischen 07:30 und 09:00 Uhr half ich, sowie alle anderen Volontäre auch, auf Station in der Küche und beim Frühstück. Patienten, die nicht selbstständig essen können, wird geholfen.
Ich habe das richtig gerne gemacht, es war so eine unmittelbare Art der ruhigen Kommunikation, jemandem zu essen zu geben.

Für mich war in erster Linie der Umgang mit den Patienten entscheidend und ich habe viel positives Feedback, erhalten, auch durch stumme Gesten, denn nicht alle Patienten können sprechen. Es handelt sich hierbei vorwiegend um Unfallopfer oder Patienten, die Hirnblutungen oder Herzstillstände erlitten haben, Komapatienten, die künstlich ernährt oder wieder zur normalen Nahrungsaufnahme zurückgeführt werden.
Neben dieser Arbeit auf Station war ich an drei Wochentagen in einer zugehörigen, nahegelegenen Tagesklinik für Schlaganfallpatienten tätig. Ich bereitete das Frühstück und assistierte während der angebotenen Gruppentherapien. Es handelt sich hierbei um Kunst- und Musik-Therapien sowie Yoga, Krankengymnastik, Psychodrama usw.. Meine Aufgabe bestand u.a. aus einfachen, unterstützenden, praktischen Tätigkeiten, aber der dabei wesentliche Teil war immer die Kommunikation und das Wahrnehmen individueller Bedürfnisse und Wünsche. Auch diese Arbeit habe ich richtig gerne gemacht. Ich war relativ selbstständig und ein positiver Nebeneffekt war, dass ich dadurch meine Hebräischkenntnisse verbessern konnte.
Die restlichen beiden Wochentage wurden von mir flexibel gestaltet. Beschäftigung mit einzelnen Patienten, spazieren gehen, Spiele…. individuell abgestimmt. Ab und zu Mithilfe bei der schon erwähnten Beförderung zur Physiotherapie, regelmäßig bei der Gabe des Mittagessens, ähnlich der Beschreibung zum Frühstück.
Da sich die Arbeitszeiten, bis auf wenige Ausnahmen, auf 6 Stunden am Vormittag während einer
5-Tage Woche, beschränkten, blieb immer genug Zeit für persönliche Aktivitäten und dafür bietet Tel Aviv ja reichlich Möglichkeiten. Was die Unterbringung selbst angeht, kann ich nur sagen: die Zimmer sind renovierungsbedürftig und könnten mit einfachen Mitteln saniert werden! Ich persönlich bin der Meinung, dass man für ein renoviertes Zimmer eine Kaution verlangen kann, die am Schluss des Aufenthaltes wieder ausbezahlt wird, sofern man das Zimmer sauber hinterlässt.
Die Klinik hat eine ideale Lage, nahe der Zug- und zentralen Busstation, so dass einem eigentlich ganz Israel sehr nahe liegt.
Und Palästina? Auch!
Ich hatte keinerlei Schwierigkeiten, die Westbank zu bereisen.
Das Thema Palästina und die konfliktreiche Situation haben mich während meines gesamten Aufenthaltes beschäftigt und ich habe interessante Gespräche geführt und Erfahrungen gemacht, aber die Beschreibung dessen würde den Rahmen dieses Berichts sprengen.
Nur soviel sei gesagt: Im Reuth Medical Center werden neben den israelischen Patienten, Menschen aus Gaza und den palästinensischen Autonomiegebieten behandelt und nahe Angehörige, deren tägliche Anreise schwierig ist, können Appartements auf dem Klinikgelände bewohnen. In Palästina ist die medizinische Versorgung nicht immer gegeben, deshalb werden schwere Fälle in Israel behandelt. Das alles soll nicht unerwähnt bleiben und jeder kann sich eigene Gedanken hierzu machen.

So sei am Schluss noch gesagt, bei allen Konflikten, allen politischen Diskussionen, allen religiösen Unterschieden und Unstimmigkeiten:
Für mich bleibt der einzelne Mensch mit seinen Bedürfnissen und seinem Lebenswillen im Mittelpunkt meines Handelns, egal welchen Hintergrund jemand mitbringt.


Es ist ein Friedensdienst, den ich geleistet habe. Darüber bin ich froh und dafür bin ich dankbar!


Liebe Grüße,

Renate

Copyright 2012 Nothelfergemeinschaft der Freunde e.V.
 

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Stand 2012